Gewaltfreiheit und Spuren des Krieges

Pazifistische Gedanken aus Kroatien von Ana und Otto Raffai

Die Kriegs- oder Krisenzeiten in den Neunzigerjahren haben uns hier in Kroatien in die Friedensarbeit eingeführt. Vor dieser Zeit war «Krieg» ein Wort aus dem Geschichtsbuch, etwas Fernes, sehr weit weg von uns. In den Neunzigerjahren ist der Krieg ganz leise, aber Schritt für Schritt, in unser Leben eingedrungen und hat bis heute Spuren in uns hinterlassen.

Als in den Neunzigerjahren zuerst in Kroatien und danach in Bosnien der Krieg ausbrach, wollte man in Westeuropa diesen Konflikt ungern «Krieg» nennen. Lieber sprach und schrieb man von der «Krise». Heute, angesichts des Kriegs in der Ukraine, ist man mutiger geworden und benutzt das Wort «Krieg» im Unterschied zum Sprachgebrauch der russischen Regierung, die erfolglos verstecken will, dass in der Ukraine Krieg geführt wird. Damals waren in Kroatien und Bosnien die Gründe für die Vermeidung des Wortes «Krieg» andere. Man behauptete, der Zerfall Jugoslawiens sei eine innere Angelegenheit, ein Bürgerkrieg – obwohl offensichtlich war, dass es sich um einen Krieg zwischen ethnischen Einheiten bzw. kleinen Staaten handelte und nicht nur um einen Bürgerkrieg.

Bis Anfang 2022 arbeiteten wir mit der Aussicht auf ein «glückliches Ende». Der Krieg in Kroatien und Bosnien war ganz furchtbar, aber es bestand die Aussicht auf eine Zeit, wo wir gemeinsam mit unseren Friedensfreund*innen aus aller Welt den Krieg (für immer?)  beenden würden. Aber dann folgte der Krieg in der Ukraine, und alle Bilder der Betroffenheit, wenn nicht gar die ganze Kriegstraumatisierung, kehrten zurück. Das alles war begleitet von einer großen Enttäuschung – nicht, weil wir unsere Arbeit nicht mehr wertschätzten, sondern weil der Krieg doch wiederkehrt.

Wir waren von dem neuen Krieg betroffen, aber wir waren nicht mehr dieselben wie in den Neunzigerjahren. Wir waren «ausgerüstet» mit der Erfahrung verschiedener Entwicklungsphasen des Krieges. Diese Erfahrung nehmen wir als Legitimierung unserer Antikriegsbotschaft wahr. Man kann uns nicht vorhalten, wir wüssten nicht, wovon wir reden. Wir reden von etwas, das wir zwar als Kriegsdienstverweigerer nicht direkt mitgemacht haben, aber das wir als Friedensstifter*innen miterlebt haben. 

Unser Widerstand ist stark, weil wir wissen: Der Krieg erscheint am Anfang als notwendige Lösung des Konfliktes. Am Ende entlarvt sich jeder Krieg als kriminelle Handlung.

Unser Widerstand ist heute wie damals unerwünscht angesichts der allgegenwärtigen Billigung des Krieges als Mittel, um den Opfern des Krieges zu helfen. Er ist genauso unerwünscht wie in der Zeit des Krieges in Kroatien, als wir mit biblischen Gedanken das Töten zur Verteidigung der Heimat nicht billigten. Wir ertragen damals wie heute das Unverständnis und auch den Ärger der Menschen, die die Verteidigung mit Waffen als eine der höchsten Formen der Menschlichkeit und als Heldentum verstehen.

Ja, Militarismus damals, Militarismus heute: Die Rechtfertigung der Verteidigung der Ukraine erweckt den Eindruck, als befänden wir uns im Europa der Vierzigerjahre des zwanzigsten Jahrhunderts und als lägen dazwischen nicht fast sieben Jahrzehnte, in denen die Friedensforschung, Friedensarbeit und Gewaltfreiheit vorangebracht, gelernt und gefördert wurden. Das sind die Gründe unserer Enttäuschung.

Aber es gibt doch eine neue Qualität: Obwohl die Themen fast identisch sind, sind die Herangehensweisen unsererseits nicht dieselben. Wir nehmen in uns eine andere Entschlossenheit wahr, gegen den Krieg zu sprechen, zu schreiben, zu wirken. Wir sind fast drei Jahrzehnte älter, in unserer Kultur bedeutet das, an Autorität zu gewinnen. Wir treten selbstsicherer auf angesichst unserer (gelungenen) Erfahrung mit der Ausbildung zum gewaltfreien Handeln. Unsere Entschlossenheit gründet auf der Erfahrung der Begegnung mit den Menschen, die unter dem Krieg gelitten haben. Wir nehmen wahr, dass wir mit einer anderen Autorität auftreten.

Wir haben wie damals in den Neunzigerjahren keine Lösungen parat, das macht unseren Widerstand riskant und setzt ihn der Kritik aus. Aber wir wirken nicht dadurch, dass wir Lösungen haben, sondern aus der Verpflichtung heraus, öffentlich gegen den Krieg aufzustehen, in der Zeit des Krieges Mut zu fassen und sich trotz allem zum Nein zu bekennen.

Aus dieser Haltung ergeben sich auch neue Themen in unseren Bildungsprogrammen in Kroatien und Bosnien, wie z.B. das Thema Friedenslogik / Sicherheit neu denken. Das Konzept findet immer mehr Menschen, die sich dafür interessieren. Es scheint, als würden sie allmählich müde vom Krieg. Aber noch immer werden wir in unserer Öffentlichkeit als Außenseiter*innen wahrgenommen. Wer in den Medien etwas gegen den Krieg sagen will, entschuldigt sich: «Ich bin keine Pazifistin / kein Pazifist, aber ich möchte sagen…» So ist das Wort Pazifist, wie schon zuvor das Wort Feministin/feministisch, zumindest bei uns Kroatien, zum verpönten Begriff geworden.

Aus dieser pazifistischen Haltung heraus stellen wir uns in den öffentlichen Medien gegen die Divinisierung/Vergöttlichung der patriarchalen politischen Konzepte. Aus dieser Haltung heraus suchen wir Beispiele von Menschen aus der Ukraine und aus Russland, die trotz des Kriegs pazifistische Stimmen erheben und danach handeln.

So sind wir wieder an einem neuen Anfang, der aus dem Beginn unserer Friedensarbeit Sicherheit schöpft. Heute ist für uns der einzige Nutzen aus der Kriegserfahrung in unserem Land die feste Überzeugung, dass wir gegen den Krieg gewaltfrei aushalten müssen.

Wir schreiben diesen Beitrag in der Osterzeit. Ostern ist, wie unsere Friedensfreundin Anthea einmal sagte, ein TROTZDEM. Ein Leben trotz des Todes, eine Hoffnung trotz der Aussichtslosigkeit, ein Lieben trotz des Hasses – das sind unsere Wegweiser. Im Widerstand gegen den Krieg, den konkreten Krieg in Ukraine, erleben wir die Relevanz von Ostern. In unserer Gesellschaft wird der katholische Glaube, wenn er sich von seiner politischen Seite zeigt, nicht selten als Bedrohung der Freiheit erlebt. Aber diese Analogie zwischen der Ostergeschichte aus der Bibel und der aus dem Glauben entstandenen Kraft des Friedens findet in derselben Gesellschaft Gehör, und damit sympathisieren auch jene, die mit der Kirche nichts mehr zu tun haben wollen.

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