Vom Krieg eingeholt

Das Focke-Museum in Bremen hat im Januar 2023 eine Sonderausstellung eröffnet, die von den zivilgesellschaftlich engagierten Protagonist*innen der Erforschung von und Erinnerung an NS-Zwangsarbeit erarbeitet wurde. Der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine stellt neue Fragen. Im Rahmen ihrer Einzelförderung hat die schwelle die Ausstellung unterstützt.

Bremen war im 2. Weltkrieg eine Stadt der Lager. Als Standort vielfältiger Rüstungsbetriebe für den Bau von Kriegsschiffen, Flugzeugen und militärischen Kraftfahrzeugen war Bremen ein Schwerpunkt für den Einsatz von Zwangsarbeiter*innen. Je länger der Krieg dauerte, umso größer wurde ihre Zahl. Im Jahr 1944 waren es über 50.000 Menschen. Auftraggeber waren neben der Rüstungsindustrie auch der Bausenator, städtische Betriebe wie die Müllabfuhr und die Landwirtschaft oder private Haushalte. Zwangsarbeit war damit ein sichtbares und alltägliches Verbrechen, das die Mehrheit der Deutschen jedoch kaum als solches wahrnahm.

In den frühen 1980er Jahren begannen einzelne Aktive und Initiativen in Bremen mit der Erforschung von NS-Zwangsarbeit. Die Ausstellung im Focke-Museum präsentiert exemplarisch für einzelne Orte von Zwangsarbeit diese Rechercheergebnisse. Ein explizites Ziel der Ausstellung ist damit auch eine Würdigung des jahrelangen Engagements dieser Protagonist*innen der Aufarbeitung.

Die Arbeit an der Ausstellung wurde unterdessen von der Ausweitung des Krieges gegen die Ukraine wie auch der innenpolitischen Entwicklung in Russland zu einer Diktatur eingeholt. Einer der ehemaligen Zwangsarbeiter, der in der Ausstellung porträtiert wird, ist der aus der Ukraine stammende 2007 verstorbene Aleksej Ponomarev, der während des 2. Weltkriegs in der Norddeutschen Hütte arbeiten musste. 2003 konnte er gemeinsam mit seiner Enkeltochter Olga Ponomareva Bremen noch einmal besuchen. Der Kontakt nach Bremen zu den Forschern bei den Stahlwerken blieb auch nach dem Tod Aleksejs bestehen, zuletzt während eines Schulprojekts im Rahmen der Ausstellung. Im Sommer 2022 kam Olga aufgrund dieser Verbindung auf der Flucht vor dem Krieg für einige Monate nach Bremen.
 
Weitere Recherchefunde verdankte das Projekt dem umfangreichen digitalisierten Briefarchiv der russischen Menschenrechtsorganisation «Memorial», die im Vorfeld des Kriegs auf die Ukraine von Russland verboten wurde. Um der Verfolgung wegen ihrer politischen Position zu entgehen, kamen seit dem Frühjahr 2022 auch einige Mitarbeiter*innen von «Memorial» nach Bremen und fanden hier in dem umfangreichen Archiv zu Dissidenz und Opposition an der Forschungsstelle Osteuropa an der Universität Bremen Zuflucht. Im Rahmen des Begleitprogramms berichteten Historiker*innen aus der Ukraine und Russland, die nun in Deutschland leben, von ihren Forschungen und kamen bei einem gemeinsamen Workshop zur historisch-politischen Bildungsarbeit in Zeiten des Krieges mit Mitarbeiter*innen von Gedenkstätten in Bremen und Niedersachsen zusammen. Da die Erinnerung an den 2. Weltkrieg heute in Russland zur Begründung der Aggression gegen die Ukraine instrumentalisiert wird, ist ein solcher direkter Austausch nicht mehr selbstverständlich.

 

 

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