In unserem Juni-Newsletter haben wir unsere neue Partnerorganisation New Profile vorgestellt. Die israelische Organisation setzt sich für Kriegsdienstverweiger:innen ein und unterstützt Menschen, die sich der Wehrpflicht verweigern oder alternative Wege des Engagements suchen.
Nun durften wir Or, die bei New Profile die Beratungsarbeit koordiniert, bei der schwelle begrüßen. In ihrem eindrücklichen Vortrag schilderte sie, wie tief das Militär in nahezu alle Lebensbereiche Israels hineinwirkt – von Bildung und Medien bis zur Arbeitswelt. Or, die selbst den Dienst verweigert hat und dafür vier Monate im Gefängnis war, untermauerte ihre Schilderungen mit eindrucksvollen Daten, Fakten und Bildern.
Seit der Gründung des Staates Israel ist das Militär eine zentrale Institution in der jüdischen Gesellschaft. Die Armee wird aufgrund der ständigen Kriegssituationen des Landes als unverzichtbar dargestellt, und ihre Präsenz durchdringt viele Bereiche der Zivilgesellschaft, was ihren Status stärkt und festigt. Das Budget des Verteidigungsministeriums ist viel größer als das anderer Ministerien und wird von Jahr zu Jahr erhöht. Das Verhältnis zwischen den israelischen Militärausgaben und dem Bruttoinlandsprodukt ist im Vergleich zu anderen Staaten viel größer.
Die zentrale Stellung des Militärs wird in den Medien, in der Kultur und der Unterhaltungsindustrie Israels gestärkt. Ein großer Teil der in Israel produzierten und ausgestrahlten Werbespots, Filme, Serien und Theaterstücke befasst sich mit dem Militär und Soldaten. Die Figur des Soldaten bzw. der Soldatin wird immer wieder kopiert und dem israelischen Publikum verkauft und definiert so, wie ein israelisch-jüdischer Mann bzw. eine Frau auszusehen und sich zu verhalten hat und wer ein israelischer Held ist.
Der bedeutendste Einfluss des Militärs zeigt sich im Privatleben vieler Israelis: Das Wehrpflichtgesetz verpflichtet alle Bürger:innen, mit Erreichen des 18. Lebensjahres zum Militärdienst einzutreten (auch wenn bestimmte Gruppen davon ausgenommen sind), und der reguläre Dienst wird als wichtiger Lebensabschnitt für die durchschnittlichen jüdisch-israelischen Bürger:innen angesehen. Auch Angehörige einiger Minderheiten in Israel sind wehrpflichtig, für sie wird der Militärdienst als Chance zur „Zugehörigkeit“ dargestellt.
Die erste Erfahrung vieler Israelis nach Abschluss ihrer Ausbildung ist der Eintritt in das Militärsystem, das ebenfalls einen bedeutenden Einfluss auf ihre Persönlichkeitsentwicklung hat. Die 18-jährigen Wehrpflichtigen kooperieren meistens bereitwillig und sind sich der politischen und persönlichen Konsequenzen ihres Soldatendaseins meist nicht bewusst, sodass sie in dieser frühen Lebensphase kaum in der Lage sind, das Militär kritisch zu betrachten.
Seit 2024 haben sich die Aktivisten von New Profile entschieden gegen die tödliche Realität des Krieges in Gaza gewehrt. In einem Land, das immer wieder verkündet, dass es „keine andere Wahl“ gibt erinnern sie die Gesellschaft und die Welt daran, dass es immer einen anderen Weg gibt. Krieg und Blutvergießen sind keine gottgegebene Realität. Eine andere Zukunft, eine gerechte und prosperierende Zukunft ist für alle möglich. Or sagt, in den letzten 23 Monaten hätten sie eine beschleunigte und extreme Militarisierung fast aller Lebensbereiche in Israel erlebt, vor dem Hintergrund einer allgemeinen Völkermordstimmung, die von den Medien und der politischen Elite unerbittlich angeheizt wird.
Dies zeige sich in fast allen öffentlichen Räumen, sowohl physisch als auch digital. Bahnhöfe und Bushaltestellen, öffentliche Bänke und Wände sind mit Aufklebern übersät, die Bilder von im Dienst getöteten Soldaten zeigen, oft begleitet von Zitaten, die zu weiterer Gewalt gegen Palästinenser aufrufen, wobei einige eine explizit völkermörderische Rhetorik verwenden. Diese Botschaften erscheinen auf Schildern, in der Werbung, in Gesundheitskliniken, Behörden, Schulen, Universitäten, Werbespots und sogar in Busankündigungen, die den offiziellen Kriegs-Slogan „Gemeinsam werden wir siegen“ zeigen.
Fernsehen, Radio und Printmedien senden weiterhin Berichte, die die Aktionen des Militärs verherrlichen und Geschichten über Heldentaten auf dem Schlachtfeld hervorheben, während palästinensische Opfer nur minimal oder gar nicht erwähnt werden. In den sozialen Medien feiern sowohl Mainstream- als auch alternative Nachrichtenkanäle die Militäroperationen, während die Kommentarspalten mit Aufrufen zum Völkermord überflutet werden. Die fortgesetzte Bewaffnung der israelischen Zivilbevölkerung durch die Regierung, die durch die Lockerung der Waffengesetze und die weitreichende Mobilisierung von Reservisten vorangetrieben wird, hat zu einem deutlichen Anstieg der sichtbaren Waffenpräsenz im öffentlichen Raum geführt.
Die restriktive Politik in Israel hat auch Auswirkungen auf die Arbeit von New Profile: Die Geräte von Aktivisten wurden gehackt, die Website war wiederholt Cyberangriffen ausgesetzt und rechte Demonstranten versuchten Veranstaltungen zu stören. New Profile glaubt nicht, dass ein Leben in einem ständigen Kriegszustand eine normale oder wünschenswerte Situation ist. Die Aktivisten bezweifeln, dass der Krieg, den Israel führt, notwendig ist. New Profile ist eine ausdrücklich antimilitaristische, feministische politische Bewegung. Sie setzen sich dafür ein, den militaristischen und patriarchalischen Einfluss des Militärs auf das Leben von Frauen, Palästinenser:innen, marginalisierten jüdischen Israelis und der israelischen Gesellschaft insgesamt zu bekämpfen. Zu der Arbeit von New Profile gehören ein Beratungsnetzwerk, Bildungs- und Aufklärungsprogramme, die Datenbank für israelische Militär- und Sicherheitsexporte sowie unsere laufenden Forschungsinitiativen.

