Traumabegleitung, Ausbildung in Gewaltfreiheit und interreligiöse Begegnung in der Zentralafrikanischen Republik

Mai 2021: Seit sechs Jahren ist Maria Biedrawa für Gemeinden und Zivilgesellschaft in dem von Konflikten und Krisen geschüttelten Land, der Zentralafrikanischen Republik, eine gefragte Beraterin. In Seminaren, Workshops und Ausbildung trägt sie dazu bei, eine Kultur der Gewaltfreiheit zu stärken und durch Traumaarbeit den Schmerz der Gewalt zu heilen.

Die schwelle unterstützt ihre Arbeit mit Mitteln des Kleinprojektefonds.

 

Im April 2021 war es das 10. Mal in 6 Jahren, dass ich in der Zentralafrikanischen Republik (ZAR) war. Meine regelmäßigen Besuche und Einsätze haben mich in ganz vielfältige Kreise hineingeführt.

Ein unvergessliches Erlebnis ist für mich die Arbeit mit Bischof Dennis Kofi Agbenyadzi in Berberati. Er lud zu einer Pastoraltagung, die eigentlich nur den Klerus, die Ordensleute und Katechisten betrifft, auch alle Pastoren und Imame ein, die in seiner Diözese leben und wirken. Dazu kamen im letzten Augenblick auch einige Chefs der Antibalaka. Im Saal fanden sich Täter und Opfer. Die Begegnungen in diesen 4 Tagen führten dazu, dass die Antibalaka ihre Waffen niederlegten. Weiter ging es einige Monate danach mit zwei Veranstaltungen  zum Thema Traumaaufarbeitung mit dem gleichen Publikum, auch in einem Hotspot, und der Arbeit mit Frauen als Akteurinnen des Friedens.

Ein anderer Höhepunkt war die Arbeit mit den Journalisten von Radio Maria über Gewaltfreiheit als einem Weg zum Frieden. In all diesen Jahren wuchs auch eine Freundschaft mit dem Team der Gemeinde Notre Dame de Fatima in Bangui, die auf den Zentimeter genau auf der Grenze zum muslimischen Stadtteil mit seiner Großen Moschee und dem großen Markt von Bangui liegt. Immer, wenn es seit Dezember 2012 in Bangui kracht, sind diese beiden Stadtteile besonders betroffen. Die Gemeinde war 18 Monate lang ein Lager für interne Flüchtlinge, Christen wie Muslime (6000 Menschen auf einem Grundstück, das etwa 2 Fußballfeldern entspricht), aber sie war auch Zielscheibe von 3 Attentaten, bei denen um die 40 Menschen ums Leben kamen.

Diese Gemeinde hat historisch eine sehr enge Beziehung zu den Muslimen. Abgesehen von den Ausschreitungen, die durch eine generelle Psychose möglich wurden, sind die meisten Muslime gemäßigt, aber auch gewissermaßen die ersten Opfer von Djihadisten, die aus dem Tschad und Sudan kamen, sich hier unter die Bevölkerung mischten und die Zügel in die Hand nahmen. Die Gemeinde wollte und will deshalb jede Gelegenheit nutzen, um ein Ort der Begegnung, der Zusammenarbeit und des Friedens zu sein und ist dabei auch unglaublich kreativ. Als „Antwort“ auf die letzte Attacke hat die Gemeinde ein kulturelles und interreligiöses Zentrum gebaut. Jetzt haben das interreligiöse und interkulturelle Zusammenleben einen Ort, eine Sichtbarkeit.

Traumaberatungszentrum

Mein Beitrag war und ist, diese Initiativen zu unterstützen durch Beratung und direkte Mitarbeit im Traumaberatungszentrum mit einem zentralafrikanischen klinischen Psychologen, der aber leider nur einen halben Tag pro Woche zur Verfügung hat. Zusätzlich zu den Einzelberatungen und -therapien erarbeiten wir andere Begleitangebote, z.B. traditionellen Tanz für Frauen, die im Zuge des post-traumatischen Stress-Syndroms an Depressionen leiden. Begleitung von traumatisierten Menschen, die es ja auf beiden Seiten gibt, stellt eine Brücke dar, sobald die Menschen erkennen, dass sie ganz Ähnliches erlebt haben, nur mit umgekehrten Vorzeichen, und dass es sie als Menschen in gleicher Weise anrührt. Unsere Tränen und unser Blut haben die gleiche Farbe, jenseits aller religiösen, ethnischen oder ideologischen Grenzen. Diese Erkenntnis schafft oft eine ganz tiefe Solidarität unter Betroffenen. Der Irrsinn der Gewalt, die Lüge aller Rechtfertigungsversuche wird offensichtlich und Rachegedanken können langsam heilen.

Fortbildungen

Ich halte auch regelmäßig Fortbildungen, z.B. "Traumabegleitung wenn man nicht Psychologe ist", sondern einfach Nachbar, Großmutter oder Arbeitskollege. Jede in der Gemeinde existierende Gruppe oder Bewegung schickt einen Kern von 3 bis 5 Mitgliedern mit dem Ziel, dass diese Menschen auf andere zugehen können, menschliche Nähe wiederherstellen und besonders stark Betroffene auch zu Fachkräften begleiten, zu Ärzte, Psychologen und Juristen. Die Gemeinde erreicht so an die 6000 Menschen, bei weitem nicht nur Gemeindemitglieder sondern eben Nachbarn, bis hinein in die muslimische Welt.

Bei meinem letzten Besuch ging es konkret um Folgendes:

  • Eine Fortbildung für junge Menschen in Leitungsrollen
  • Die Begleitung einer Frauengruppe (mit dem Ziel den Selbstwert zu stärken, damit sie ihr Leben wieder in die Hand nehmen. Im September arbeiten wir weiter daran, wie sie gemeinsam ihren eigenen Betrieb gründen können)
  • Ein erstes Seminar über Gewaltfreiheit im Hinblick auf die Verbesserung der sozialen Bedingungen (in diesem Stadtviertel gibt es nur in ganz wenigen Häusern Fließwasser, Elektrizität ab und zu; Prostitution und Drogen sind ein echtes Problem) – Fortsetzung folgt im September. Es war der Schritt heraus aus der Lethargie.
  • Beratung für ein Programm Erziehung zu gewaltfreier Konfliktlösung in der katholischen Privatschule und der öffentlichen Schule (im muslimischen Viertel), das über 3 Jahre laufen soll. Die erste Phase beginnt im September mit einer Kerngruppe von Lehrern und beinhaltet dann 3 Schritte: Menschenrechte – Ausbildung von Peer-Mediatoren – Restaurative Gerechtigkeit in der Schule
  • Beratung für die Erwachsenenbildung: eine Ausbildung in zwischenmenschlicher Konfliktlösung fand großen Anklang. Sie soll jetzt weitergeführt werden in der Ausbildung eines interreligiösen Mediatorenteams, das dann der Öffentlichkeit zur Verfügung steht.  
  • Und natürlich ging die Traumabegleitung weiter. 

Dieser Aufenthalt war nicht geplant, aber er war wichtig, denn es war die erste Phase der Beruhigung nach den Wahlunruhen und genau der Wendepunkt, wo Menschen nach 3 Monaten Panik und Not zum ersten Mal wieder nach vorne schauen. Meine Erfahrung sagt mir auch, dass man in diesem Land die Kampfpausen ausnützen muss. Ich bin deshalb für die Hilfe der Stiftung die schwelle besonders dankbar.

 

 

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